Die Frage, warum Spinnen nicht in ihren eigenen Fäden kleben bleiben, leitete ein internationales Forschungsprojekt ein, an dem auch Jörn Bonse und Karin Schwibbert von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) beteiligt waren. Ihre Arbeit fokussierte sich auf die Van-der-Waals-Kräfte, die bei sehr dünnen Fasern besonders relevant werden. Diese Kräfte sind für die Adhäsion verantwortlich, also dafür, dass die Faser an sämtlichen Oberflächen haften bleibt. Das stellt jedoch ein Problem dar, wenn man mit nanometerdünnen Materialien arbeitet, beispielsweise bei der Herstellung von Textilvliesen für Atemschutzmasken.
Die Forscher fanden ihre Lösung in der Natur, genauer gesagt bei den cribellaten Spinnen. Diese Spinnen erzeugen Gespinste aus ultradünnen Nanofasern. Um selbst nicht an der Spinnenseide kleben zu bleiben, besitzen sie ein spezielles Organ an ihren Hinterbeinen, das Calamistrum, eine lateinische Bezeichnung für Lockenstab. Dieses Organ ist mit einer feinen oberflächlichen Wellenstruktur versehen, die verhindert, dass die Seide zur Falle für die Spinne wird. Diese Struktur konnte auch auf technische Oberflächen übertragen werden, indem sie mit einem Laser auf Materialien aufgebracht wurde.
Das Team setzte die Idee in einem FET-Open-Projekt der Europäischen Union um. Diese Förderlinie unterstützt hochriskante, exzellente Forschung. Johannes Heitz von der Johannes Kepler Universität Linz koordinierte das gesamte Projekt, während das Know-how über die Spinnen von Anna-Christin Joel und ihrem Team an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen) kam. An der BAM wurde ein Ultrakurzpulslaser verwendet, um die speziellen Nanostrukturen auf Stahl, Titan, Aluminium und anderen metallischen Werkstoffen anzubringen. In Linz konnte nachgewiesen werden, dass die Klebekräfte bei optimaler Struktur um bis zu 75 Prozent reduziert wurden.
Auch Karin Schwibbert interessierte sich für die Ergebnisse, allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Als Mikrobiologin beschäftigt sie sich mit Bakterien auf Oberflächen und deren Neigung zur Bildung von Biofilmen. Sie fand heraus, dass spezielle Zellanhängsel auf der Außenseite mancher Bakterien eine entscheidende Rolle beim Kontakt zu Oberflächen spielen. Ähnlich wie Spinnenseide bestehen diese Zellanhängsel aus Proteinen und haben einen vergleichbaren Durchmesser. Daher lag es nahe, die Struktur des Spinnenorgans auf Tauglichkeit im Kampf gegen Biofilme zu testen. Das Projekt war auch hier ein Erfolg: Durch die Anwendung dieser Struktur konnte ein Rückgang der anhaftenden Bakterien um bis zu 90 Prozent verzeichnet werden, ohne dass dabei resistenzauslösende Biozide eingesetzt werden mussten.
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Quelle: Newsletter „Adlershof Journal“, Artikel „A Antihaftstruktur – Vom Lockenstab der Spinnen inspiriert“ (Kai Dürfeld), 07. Juli 2023